Montag, 29. September 2008

Nord-Neukölln

BZ und Berliner Zeitung berichteten in der letzten Woche über das Buch einer Kollegin von der Albert-Schweitzer-Schule, in dem sie offenbar ihren gesammelten Frust aus mehreren Berufsjahren in Berlin zu Papier bringt. Frau Rogg ist Künstlerin, wie man leicht ergoogeln kann, und stammt aus Bayern. Beides erklärt sicher den Kulturschock, den sie erleiden musste, als sie nach Neukölln (N.-N.!) kam. Unerklärlich bleibt aber einerseits die Häme, mit der sie über ihre Ex-Kollegen herzieht ("Ein physisch und psychisch kaputtes Personal"), deren Namen, so hört man, sie so unzureichend verschlüsselt, dass jeder, der dieselben kennt, weiß, wer gemeint ist. Selbiges gilt für die Schüler, die - mehrheitlich mit Migrationshintergrund - ungezogen, aggressiv, intolerant, kurz unerträglich sind und noch als Abiturienten nicht richtig deutsch sprechen ("Gewalt und Sprachlosigkeit"). Frau Rogg fühlte sich als Lehrerin allein gelassen, da erst ihr 14. Umsetzungsgesuch positiv beschieden wurde. Nun sitzt sie an einem Gymnasium im Wedding, das nach Meinung einer Kollegin, deren Mann dort Jahrzehnte tätig war, kaum weniger Probleme haben dürfte, für die Autorin aber angeblich das Paradies ist. An all diesem stimmt so manches nachdenklich.
Natürlich hat man es mit bestimmten Fächern bei bestimmten Schülern nicht leicht, natürlich kann der Migrationshintergrund wie auch das "bildungsferne" Milieu Probleme bereiten, natürlich gibt es schwer erträgliche Kollegen. Aber diesen Verhältnissen ist man ja nicht nur passiv ausgeliefert, sondern man wirkt auch selbst an deren Gestaltung mit. Aus der Zeitungsberichterstattung ging nicht hervor, dass Frau Rogg ein im weitesten Sinne pädagogisches Selbstverständnis hätte, dass sie ihre Gestaltungsspielräume genutzt hätte.
Ich habe das Buch nicht gelesen und nicht die Absicht, es zu kaufen. Jedenfalls hat sich die werte Kollegin mit der Selbstinszenierung in der Öffentlichkeit keinen Gefallen getan. Möge Zehlendorf diese Gruselvorlage mit Gewinn lesen!

Samstag, 27. September 2008

Elternabend

Erster Elternabend in der neuen Klasse. 17 von 22 Schülern sind vertreten; das ist für eine 10. Klasse eine recht gute Bilanz. Und obwohl Ramadan ist und der Abend dem Fastenbrechen gewidmet, sind fast alle muslimischen Eltern da. Allerdings weiß ich gar nicht, ob sie auch tatsächlich fasten. Aleviten tun dies ja bekanntlich nicht, aber ich kenne meine Schüler noch nicht gut genug, um so genau über sie Bescheid zu wissen. Man wird ja sehen, wer am 30.9. beim Zuckerfest fehlt, vielleicht kann man da mal entsprechend nachfragen.
Die Eltern sitzen also, wie immer bei diesen Veranstaltungen, da, wo sonst die Schüler sitzen, und der Lehrer/die Lehrerin vorne. Die Redeanteile entsprechen einem klassischen Frontalunterricht, eher noch verschärftem Lehrer-Vortrag mit Zwischenfragen, meist Verständnisfragen. Selten einmal eine Forderung oder ein Kontra. Die Stimmung ist freundlich-reserviert. Ich bin ja die Neue. Versuche also, Vertrauen herzustellen: ein paar persönliche Bemerkungen, etwas Positives über die Klasse, vorsichtige Scherze, Pläne, Beruhigung im Hinblick auf die MSA-Prüfungen. Welchen Eindruck ich hinterlassen habe, weiß ich nicht. Am nächsten Tag frage ich die Klasse, was die Eltern erzählt haben. "Sie haben eine lustige E-Mail-Adresse." Das war alles. Immerhin!
Nachher noch mit zwei Kolleginnen beim Griechen einen Happen essen. Unterwegs stellen wir fest, dass in der Straße zwei neue Studentenkneipen aufgemacht haben. Das stimmt uns optimistisch: Neukölln im Wandel. Gemütliches Tratschen über die Situation an der Schule, den Wunsch nach Erneuerung, die Frustration über abgeschmetterte Initiativen. Das tut gut! Leider am Folgetag eine furchtbare Knoblauchfahne. Nie wieder Tsatsiki vor einem Schultag!

Dienstag, 9. September 2008

Von Schülern lernen

Man muss sich nur einmal neben am Computer arbeitende Schüler setzen - da vergeht einem Hören und Sehen. Mein erstes entsprechendes Erlebnis war der Filmschnitt mit i-movie, den Amir im Jahre 2002 mit unserem Wettbewerbsvideo "Les correspondants" hinlegte. Wie mühsam waren meine ersten Gehversuche auf diesem Terrain! Schon einfacher: kleine Tipps und Tricks, die ich mir so nebenbei erklären ließ, z.B. wie man einen ordentlichen --> macht (der dann in Word viel imposanter aussieht) oder einen :-) (dito). Heute also was von Torben gelernt, nämlich wie man bei "Google Texte und Tabellen" ebensolche im Internet speichern, zu Hause abrufen und bearbeiten oder sogar Schülern zugänglich machen kann. Leider wird man ja in letzter Zeit an allen Ecken und Enden vor der Spionagetätigkeit von Google gewarnt (auch diese Plattform gehört dem Giganten). Wie ernst soll man das nehmen? Wahr ist, dass Google allerlei interessante Dienste gratis anbietet. Ganz angetan bin ich z.B. von meinem Google-Reader, der mir täglich frische Zeitungsartikel aus dem Tagesspiegel und der FAZ sowie die Blogs von Vorbildern, Freunden und Bekannten anzeigt. Mit Hilfe von Firefox und Google habe ich mir auch meine eigene Startseite zusammengestellt, ohne Werbung und blinkenden Unsinn. Mich freut jeden Tag das aktuelle Zitat von zitate.online.de, heute z.B. Gutes Benehmen besteht darin, daß man verbirgt, wieviel man von sich selber hält und wie wenig von den anderen.“ (Jean Cocteau)

Sonntag, 7. September 2008

Die erste Woche

Kaum zu glauben, aber das neue Schuljahr ist erst eine Woche alt! Wir alle sind bei der dritten Stundenplanversion, die sicher nicht die letzte sein wird. Ich bin mit meiner auf 20 Stunden reduzierten Stelle in einer komfortablen Position: Montag und Mittwoch nur bis zur vierten Stunde, Dienstag sogar nur zwei Stunden. Nur Donnerstag und Freitag sind echte Arbeitstage. Dazu kommt, dass ich alle Schüler vom Vorjahr kenne und schätze. Die Kurse sind zahlenmäßig überschaubar, was relativ wenige Korrekturen bedeutet, und meine Klasse umfasst auch nur 22 Schüler, weil es in diesem Jahr wegen des Faches Ethik, das in den Schnellläuferklassen schon unterricht wird, in den Normalklassen noch nicht, keine Zusammenlegungen gab.
Also, bis jetzt erscheint alles überschau- und machbar.
In den Drittsemesterkursen heißt das Abiturthema "Naturlyrik". Mal sehen, ob es gelingt, dafür ein bisschen Interesse zu wecken. Inhaltlich werde ich den Schwerpunkt auf die Epoche der Romantik legen und neben der Lyrik von Eichendorff E.T.A. Hoffmann lesen.
Ansonsten arbeite ich weiter im Evaluationsteam (der Bericht an die Senatsschulverwaltung muss bis März fertig sein) und biete eine AG Theaterclub an. Vorbesprechung ist am nächsten Donnerstag.
Gespannt warten wir alle auf den Termin, an dem sich die Schulinspektion an der ADO einfinden wird. Noch gespannter bin ich auf das Ergebnis!

Donnerstag, 4. September 2008

Die Klasse

"Die Klasse" heißt der Film, der in diesem Jahr beim Filmfestival in Cannes die goldene Palme errungen hat. Auf französisch: "Entre les murs". Der Film basiert auf dem gleichnamigen Buch von F. Bégaudeau. Geschildert wird, in fiktionalisierter Form, ein Schuljahr in einer Pariser Klasse des 20. Arrondissements, Multikulti im Reinformat. Angesichts all der Lobeshymnen, die man über dieses Werk angestimmt hat, bin ich ein bisschen ratlos. Einerseits kennt man das alles ja, allerdings an der ADO in sehr abgemilderter Form: Schüler/innen mit Verständnis-problemen mangels Sprachbeherrschung, Motivationsmängel, ungebührliches Verhalten gegenüber Lehrern, gewalttätig ausgetragene Konflikte, Kulturdifferenz, ja und auch die Lehrerzimmergespräche könnten sich, setzt man eine gehörige Dosis an satirischer Zuspitzung hinzu, fast so an der ADO zugetragen haben. Außerdem habe ich bei dem Aachener Treffen mit den Schülern aus Clichy-sous-Bois auch gesehen, dass hier im Vergleich mit unseren Schülern größere Probleme im Hinblick auf Verhalten und Leistungsfähigkeit zu beobachten waren. Und dennoch: Zum einen erstaunt der Inhalt des Französischunterrichts, der offenbar fast ausschließlich auf Grammatik beruht, zum anderen die Sprachebene, die der geschätzte Kollege gegenüber seinen Schülern einnimmt. Ein kleiner Höhepunkt: Er vergleicht das Verhalten von kichernden Schülerinnen mit dem von "pétasses". Konflikte werden meist so gelöst, dass der Übeltäter mitsamt dem Lehrer zum Direktor geht oder aber eine sog. "Fiche incident" (etwa: einen Vorfallzettel)ausfüllt, der an denselben weitergereicht wird. Das führt dann bei gehäuften Verstößen zur Klassenkonferenz (na ja, wie bei uns) und mehrfach in einem Schuljahr zum Rauswurf eines Schülers aus der Schule (ist bei uns ein komplizierteres Verfahren). Okay, der Erzähler betrachtet sein eigenes Verhalten mit einer gewissen Selbstironie (Leitmotiv ist "J'avais mal dormi" - Ich hatte schlecht geschlafen) und er hat auch durchaus seine Verdienste. Mir gefällt trotzdem oft nicht sein Umgang mit den Schülern, z.B. dass er sie "veräppelt" (nein, das andere Wort ist hier tabu), wenn sie ein Wort der "Hochsprache"nicht verstehen. Manches scheint mir auch durchaus symptomatisch für das französische System zu sein. Vielleicht ist mir ja eine Bedeutungsebene des Ganzen entgangen? Jedenfalls fand ich die Schilderungen repetitiv und letztlich uninteressant.