Sonntag, 8. März 2009

Professorenwissen

Heute in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung unter der Überschrift "Gute Bücher,die wir hassen" lauter Verrisse. Von dem einen Rezensenten erfährt man, dass man doch nicht ganz allein auf der Welt ist, wenn man den "Vorleser" nicht mag, oder dass man sich nicht zu schämen braucht, wenn man Heinrich Manns "Henri IV" nach 50 Seiten (gefühlten 200) auf ewig in die hintere Reihe des Bücherregals verbannt hat.
Aber dann kommt "Nathan der Weise", für den man ja als eine im multi-ethnischen Umfeld tätige Deutschlehrerin zutiefst dankbar ist. Wie man von den Kollegen hört, wird die "Ringparabel" auch fleißig in Ethik durchgenommen. Das wird nun ein gestandener Literaturprofessor nicht als Qualitätskriterium durchgehen lassen. Geschenkt! Aber sollte der Besagte, wenn er schon einen Verriss schreibt, nicht noch einmal kurz die Handlung rekapituliert haben? Vielleicht mal in "Kindlers Lexikon der Weltliteratur" geschaut haben, das man doch sicher zu Hause hat? Oder googeln? Aber das tut man vielleicht in professoralen Arbeitszimmern nicht, da man ja alles im Kopf zu haben glaubt. Aber dann so etwas: "...und so kann es am Ende nicht ausbleiben, dass seine angenommene Tochter Recha den Tempelherrn kriegt, der Saladins Neffe und folglich ein Muslim ist."
Also, lieber Herr Professor Gumbrecht, jeder, aber auch jeder Abiturient des Nord-Neuköllner Albrecht-Dürer-Gymnasiums kann Ihnen sagen, dass das Unsinn ist. Der Tempelherr ist Rechas Bruder, und falls man nicht selbst ein orthodoxer Muslim ist, der der Meinung ist, Kinder aus christlich-muslimischen Mischehen seien automatisch Muslime, stimmt auch die zweite Information nicht oder nur halb.
Ich wette, dass in Deutschlands studienrätlichen Haushalten heute morgen am Frühstückstisch ziemlich oft aufgeschrien wurde. Deshalb verkneife ich mir auch einen Leserbrief. Dafür werden schon die anderen Deutschlehrerinnen sorgen.
Wenn ich ihn denn geschrieben hätte, hätte ich dem Literaturwissenschaftler auch noch folgendes unter die Nase gerieben. Gumbrecht findet Lessings berühmten Satz über den Tod seiner Frau und seines Sohnes bewegend. Ist es nicht auch bewegend, dass er im "Nathan" seinem Freund Moses Mendelssohn ein Denkmal gesetzt hat, dem man die Frage nach der "richtigen" Religion öffentlich und durchaus mit nicht ganz redlichen Hintergedanken gestellt hat?

Keine Kommentare: